Keine Wolfswelpen am WSC?

Clara Schnitzler (Praktikantin)

04.12.23

 

Hier, im Wolf Science Center, bekommen die Wölfe keinen eigenen Nachwuchs. Das hat verschiedene Gründe, die ich Dir hier gerne näher erklären möchte.

Als wissenschaftliche Forschungseinrichtung wird besonders auf eine möglichst große genetische Vielfalt zwischen den einzelnen Tieren geachtet. Aus Perspektive der Wissenschaft ist es wichtig, dass familienspezifische Ergebnisse vermieden werden, denn wie auch bei uns Menschen, sind Unterschiede zwischen verschiedenen Wolfsfamilien erkennbar. Wissenschaftler aus aller Welt kommen ans WSC um den Wolf als Ganzes zu verstehen und keine familienspezifischen Resultate zu generieren.

Ein weiterer, recht simpler Grund ist, dass das WSC schon nach kurzer Zeit einen immensen Platzmangel hätte. Das Wolf Science Center hat Platz für insgesamt etwa 14 Wölfe und wenn man bedenkt, dass ein Wurf aus vier bis sechs Welpen besteht, wäre der Platz wohl schon nach ein bis zwei Jahren ausgeschöpft.

Außerdem kommt es immer wieder vor, dass zwei Geschwister gemeinsam in einem Rudel leben. Natürlich gilt es da, Inzucht zu vermeiden.

Der wichtigste Grund ist jedoch die Handaufzucht. Alle Wölfe am WSC wurden ab einem Alter von etwa 10 Tagen für fünf Monate "24/7" mit der Hand aufgezogen. Die Handaufzucht ermöglicht es ein Umfeld zu schaffen, indem die Anwesenheit des Menschen keinen Stressfaktor für die Wölfe bedeutet, sie nimmt den Wölfen die angeborene Scheu vor dem Menschen. Dadurch können die Tiere bei verschiedenen wissenschaftlichen Fragestellungen ihr volles Potenzial entfalten und zeigen was in ihnen steckt. Man kennt es vielleicht von Zoos oder Wildparks, in denen man die Tiere nur selten zu Gesicht bekommt und sie durch die Anwesenheit des Menschen großem Stress ausgesetzt sind. Wenn Du einmal zu Besuch im Wildpark Ernstbrunn bist, wirst du erkennen, dass die Wölfe gelassen bis neugierig auf die Besucher*innen reagieren. Auch die Besucherprogramme im direkten oder indirekten Kontakt mit den Wölfen, wären ohne die Handaufzucht nicht realisierbar. Bekämen die Wölfe jedoch Nachwuchs, müssten die Welpen von ihren Elterntieren getrennt werden, denn die Scheu vor Menschen ist in Wölfen genetisch festgelegt und die Tatsache, dass die Elterntiere den Tiertrainer*innen vertrauen, bedeutet nicht, dass auch ihr Nachwuchs Vertrauen in die Tiertrainer*innen fassen wird. Um also die Basis für eine innige Vertrauensbeziehung zwischen Tiertrainer*innen und Wolf zu gründen, müssten den Elterntiere ihre Welpen weggenommen werden. Das würde einen großen Vertrauensbruch für die Wölfe bedeuten und ihre Welpen würden nur wenige 100 Meter Luftlinie von ihnen groß werden. Durch die geringe Distanz wären die Welpen immer noch in Hörweite und die Elterntiere könnten sie riechen. Für die Tiertrainer*innen ein großes No-Go, denn das würde wohl an Tierquälerei grenzen.

Aber wie genau wird nun verhindert, dass die Wölfe am WSC Nachwuchs zeugen? Die einfache Lösung lautet: Vasektomie der Rüden. Bei der Vasektomie werden die Samenleiter der Rüden durchtrennt, dadurch sind sie nicht mehr zeugungsfähig, aber der Hormonhaushalt bleibt intakt.

Natürlich stellt sich jetzt die Frage, wie der Fortbestand des Wolf Science Centers gesichert werden kann, wenn die Wölfe des WSC keinen eigenen Nachwuchs bekommen. Wenn Du Dir die Profile der Wölfe auf der Webseite schon einmal angesehen hast, ist Dir vermutlich aufgefallen, dass die Wölfe unterschiedliche Herkunftsländer aufweisen. Die meisten Tiere kommen aus den USA, aber auch drei Russen (Maikan, Tekoa und Taima), sowie Tiere aus Kanada leben jetzt am WSC.

Zweifelsohne kann das zur Verwunderung führen, denn worin liegt der Sinn Wolfswelpen mehrere tausend Kilometer entfernt abzuholen, um sie dann nach Österreich zu bringen. Gibt es denn in Österreich keine Wölfe? Doch, die gibt es! Aber für das Team vom Wolf Science Center gibt es einen wichtigen Grund, mehrere Flugstunden auf sich zu nehmen, um Wolfswelpen abzuholen. Denn hier am WSC leben nur Nordamerikanische Grauwölfe, sogenannte Timberwölfe. Den nordamerikanischen Wölfen wird nachgesagt, weniger reaktiv und scheu gegenüber Menschen zu sein, was eine zukünftige Zusammenarbeit zwischen Mensch und Tier enorm erleichtert.

Da viele Zoos und Wildparks es sich zur Aufgabe machen heimische Tiere den Besuchern näher zu bringen, leben in den meisten europäischen Zoos und Wildparks europäischen Grauwölfe. So kommt es zustande, dass für den Fortbestand des WSC viele Flugmeilen geflogen werden müssen.

Aber auch in der Zoo Welt Europas wächst das Wissen und die Erfahrung darüber, dass die nordamerikanischen Grauwölfe im Kontakt mit Menschen weniger Stress erfahren als ihre europäischen Verwandten. Natürlich sollte man auch hier immer hinterfragen, unter welchen Bedingungen diese Tiere gehalten werden und dass sowohl die europäischen als auch die amerikanischen Grauwölfe eine natürliche Scheu vor dem Menschen mitbringen! Wer Wildtiere in Gefangenschaft hält, hat eine große Verantwortung für das Wohlergehen dieser Tiere!

Dieser Verantwortung ist das Wolf Science Center sich bewusst und die eingangs erwähnte Handaufzucht ermöglicht den Wölfen einen stressfreieren Alltag, auch mit Besuchern. Meine Lieblingsgeschichte dazu, ist eine Geschichte aus der Zeit, als Covid-19 uns noch alle im Griff hatte: Die Tiertrainer*innen haben mir erzählt, dass die ersten Tage und Wochen des Lockdowns keine besondere Veränderung für die Tiere bedeutet haben, doch nach mehreren Wochen, fingen die Tiere an sich zu langweilen, denn die Besucher im Wildpark, besonders aber ihre vierbeinigen Freunde, halten die Wölfe den ganzen Tag auf trapp. Es scheint unterhaltend zu sein, die Besucher zu beobachten und bei jedem Hund, der zu nahekommt, deutlich das eigene Territorium abzugrenzen und zu zeigen, wer der Größere ist.

Jetzt aber zurück, zu den Welpen. Im Jahr 2024 soll es endlich so weit sein, neue Wolfswelpen! Mit Gewissheit lässt sich das nicht sagen, denn das liegt in den Pfoten der zukünftigen Elterntiere, aber das WSC ist bereit!  Dazu steht das Wolf Science Center im Kontakt mit verschiedenen Zoos und Wildparks, in diesem Jahr sogar aus Europa.

Wer selbst einmal die Welpen aus nächster Nähe kennenlernen möchte, hat schon jetzt die Möglichkeit auf der Website (wolfscience.at) einen Spaziergang oder einen Besuch im Welpengehege unverbindlich vorzureservieren.